Die Erklärung der strafrechtlichen Verantwortung benötigt eine normtheoretische Grundlage: Nämlich die Anerkennung des Status des Bürgers als Freiheitsbereich und dessen Begrenzung in Abhängigkeit von den Pflichten – sowohl Organisations- als auch Institutionspflichten –, die dieser Status zum Inhalt hat. Die primäre Norm äußert und implementiert das Eigenverantwortlichkeitsprinzip, so wie „Rule“ in Bezug auf „Principle“. Das Eigenverantwortlichkeitsprinzip ist typischer Ausdruck einer hochkomplexen, arbeitsteiligen Gesellschaft, die notwendigerweise Rollentrennung voraussetzt. Die Reichweite der rechtlichen Verantwortlichkeit entspricht dem Umfang der Zuständigkeit und kann nie deren Grenzen überschreiten. Die Reichweite der strafrechtlichen Verantwortlichkeit hingegen ist enger: Sie betrifft nur die Pflichtverletzungen, die im strafrechtlichen Gesetz (als sekundäre Normen) typisiert sind. Der Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme bzw. Einzeltäter- und Mehrtäterparadigma hat nur deskriptive Bedeutung: Solche Differenzierungen können aber eventuell quantitatives Gewicht als Maßstäbe für die Strafzumessung haben. Die vortatbestandliche – allgemeine oder institutionelle – Pflicht begrenzt die Zuständigkeit: Im Stufenbau der Verbrechenslehre betrifft sie den Bereich der Rechtswidrigkeit (wie alle Positionen des Status: Rechte, positive Freiheiten, Befugnisse, Obliegenheiten u.s.w.). Der Vertrauensgrundsatz als intersubjektive, dynamische Regel entspricht der vom Status abhängigen statischen Erwartung auf der tatbestandlichen Ebene: Er gilt als Konkretisierung der Zuständigkeit innerhalb des Tatbestandes. Im Rahmen von besonderen intersubjektiven Strukturen sind jedoch Verbindungspflichten als Grundlage der fahrlässigen Verantwortung zu berücksichtigen, bei denen der Vertrauensgrundsatz ausnahmsweise nicht gilt: Das ist der Bereich der fahrlässigen Mitverantwortung.

Fahrlässige Mitverantwortung

CORNACCHIA, LUIGI
2007-01-01

Abstract

Die Erklärung der strafrechtlichen Verantwortung benötigt eine normtheoretische Grundlage: Nämlich die Anerkennung des Status des Bürgers als Freiheitsbereich und dessen Begrenzung in Abhängigkeit von den Pflichten – sowohl Organisations- als auch Institutionspflichten –, die dieser Status zum Inhalt hat. Die primäre Norm äußert und implementiert das Eigenverantwortlichkeitsprinzip, so wie „Rule“ in Bezug auf „Principle“. Das Eigenverantwortlichkeitsprinzip ist typischer Ausdruck einer hochkomplexen, arbeitsteiligen Gesellschaft, die notwendigerweise Rollentrennung voraussetzt. Die Reichweite der rechtlichen Verantwortlichkeit entspricht dem Umfang der Zuständigkeit und kann nie deren Grenzen überschreiten. Die Reichweite der strafrechtlichen Verantwortlichkeit hingegen ist enger: Sie betrifft nur die Pflichtverletzungen, die im strafrechtlichen Gesetz (als sekundäre Normen) typisiert sind. Der Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme bzw. Einzeltäter- und Mehrtäterparadigma hat nur deskriptive Bedeutung: Solche Differenzierungen können aber eventuell quantitatives Gewicht als Maßstäbe für die Strafzumessung haben. Die vortatbestandliche – allgemeine oder institutionelle – Pflicht begrenzt die Zuständigkeit: Im Stufenbau der Verbrechenslehre betrifft sie den Bereich der Rechtswidrigkeit (wie alle Positionen des Status: Rechte, positive Freiheiten, Befugnisse, Obliegenheiten u.s.w.). Der Vertrauensgrundsatz als intersubjektive, dynamische Regel entspricht der vom Status abhängigen statischen Erwartung auf der tatbestandlichen Ebene: Er gilt als Konkretisierung der Zuständigkeit innerhalb des Tatbestandes. Im Rahmen von besonderen intersubjektiven Strukturen sind jedoch Verbindungspflichten als Grundlage der fahrlässigen Verantwortung zu berücksichtigen, bei denen der Vertrauensgrundsatz ausnahmsweise nicht gilt: Das ist der Bereich der fahrlässigen Mitverantwortung.
2007
9783452266262
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